Kapitel 33

Ihre Hochzeit sah völlig anders aus, als Adelaide sie sich in ihren romantischen Träumen immer vorgestellt hatte. Ein Krankenzimmer statt einer Kapelle mit bunten Glasfenstern. Ein Alltagskleid statt einem Traum aus Seide und elfenbeinfarbener Spitze. Ihr Ehemann lag mit schmerzverzerrtem Gesicht im Bett, anstatt sie liebevoll anzulächeln und neben ihr am Altar zu stehen. Keine Blumen. Keine Musik. Keine geladenen Gäste. Doch eine Sache war genau so, wie sie es sich immer gewünscht hatte.

Die Liebe.

Mr und Mrs Chalmers standen eng beisammen und nickten zustimmend, als der Pfarrer über die Tugenden der Ehe sprach. Neben ihnen war Mabel Garrett, die alle zwei Minuten mit der Schürze ihre Augen abtupfte. Isabella, in einem Baumwollnachthemd mit nackten Füßen, nahm strahlend an der Zeremonie teil und hatte ihre kleine Hand auf Adelaides und Gideons gelegt. Doch der stärkste Beweis lag in den tiefen Gefühlen, die in Gideons Augen schimmerten, als er schwor, sie zu ehren und zu lieben. Seine Liebe war so ehrlich, so offensichtlich, so wahr, dass keine Kapelle, kein Kleid, keine Blumen diesen Moment hätten besser machen können.

Es mochte nicht die Hochzeit ihrer Träume sein, doch es war die Hochzeit ihres Herzens.

Nachdem alle nötigen Dokumente vor Zeugen unterschrieben worden waren, hätte Adelaide am liebsten alle anderen aus dem Zimmer gescheucht. Gideons blasses Gesicht machte ihr Sorgen, genau wie die Bewegung, mit der er zurück in die Kissen gesunken war. Er war zu erschöpft, um seinen Kopf halten zu können.

„Mrs Chalmers?“ Adelaide trat an die Seite der Haushälterin. „Bitte bereiten Sie das Gästezimmer für Pfarrer Kent vor. Sie können Dr. Bellows in meinem Zimmer unterbringen.“ Hitze stieg ihr in die Wangen. „Ich bleibe heute Nacht bei meinem Ehemann.“

Meinem Ehemann. Der Gedanke ließ sie vor Freude zittern.

Die Haushälterin lächelte sie an. „Ich kümmere mich sofort darum, Mrs Westcott.“

Adelaide unterdrückte ein glückliches Lächeln und wandte sich dann an die Köchin.

„Mrs Garrett, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie noch ein kaltes Abendessen für diejenigen von uns zubereiten, die noch nichts gegessen haben? Bei all der Aufregung hat unseren Gästen noch niemand eine Erfrischung angeboten.“

Mabel wischte sich noch einmal über die Augen und setzte dann ihre gewohnte säuerliche Miene auf, um ihr großes Herz zu verbergen, das jedoch alle hier im Haus sehr wohl kannten.

„Das Fleisch ist mittlerweile wahrscheinlich trocken wie Dörrobst, aber ich schaue, ob ich ein paar Sandwiches machen kann.“

„Danke, Mrs Garrett. Ich weiß, dass Sie wahre Wunder bewirken können. Das tun Sie immer.“

Isabella zupfte an Adelaides Kleid. „Kann ich jetzt mein Lied singen, Miss Addie? Papa Gidyon ist ja schon im Bett.“

Sie öffnete den Mund, um der Kleinen zu antworten, doch Dr. Bellows murmelte leise neben ihr: „Er braucht jetzt dringend das Morphium, Ma’am. Er hat lange genug gekämpft.“

Adelaide legte ihren Arm um die Schulter ihrer frischgebackenen Tochter, während sie Gideon anschaute. Er hatte den Schmerz stundenlang ertragen, um einen klaren Kopf zu behalten und zahlte nun den Preis dafür. Seine Augen waren geschlossen, doch an seinem Gesicht konnte man erkennen, dass er sich nicht entspannte. Tiefe Falten zogen sich über seine Stirn und hatten sich um den Mund herum eingegraben. Ihr Herz schmerzte bei diesem gequälten Anblick.

„Zuerst sollte er von Dr. Bellows seine Medizin bekommen, Izzy“, sagte sie und drückte das Mädchen sanft. „Dann kannst du singen. Ich weiß, dass dein Vater sich darauf freut.“

Dr. Bellows nickte ihr zu und nahm die Spritze von der Kommode. Adelaide führte Isabella weg von der Injektionsnadel und trat zu James und Pfarrer Kent ans Fenster. Trotz der Sorge um ihren Mann setzte sie ihr bestes Gastgeberinnenlächeln auf und nahm die Hand des Pfarrers.

„Danke, dass Sie heute Abend hierhergekommen sind, Herr Pfarrer. Ihre Gebete waren ein Segen. Und auch wenn die Bitte, dass Sie uns trauen, unkonventionell und spontan war, waren unsere Treueversprechen absolut wahr. Und die Worte, die Sie zu uns gesprochen haben, waren wirklich wunderbar.“

„Es freut mich, das zu hören, meine Liebe.“ Er ließ ihre Hand los, als ein jungenhaftes Grinsen auf sein Gesicht trat. „Meine Martha wird aus dem Häuschen sein, wenn ich es ihr erzähle.“ Der Pfarrer warf James einen Seitenblick zu. „Meine Frau spekuliert seit dem ersten Sonntag, an dem Mr Westcott die junge Lehrerin mit zum Gottesdienst gebracht hat, wann es zwischen den beiden endlich so weit sein würde.“

„Ich hatte den gleichen Eindruck, als sie in mein Büro in Fort Worth geschneit kam.“ James lachte leise und hielt die Papiere hoch. „Und was soll ich sagen? Jetzt halte ich den Beweis in Händen, dass ich recht hatte.“ Er steckte die Dokumente in seine Tasche und klopfte sich auf den Brustkorb. „Ihre Frau wird sich die Klatschrechte mit mir teilen müssen.“

„Also meine Herren, ich bitte Sie!“ Adelaide schüttelte fassungslos den Kopf, doch auch sie musste bei dem Wortwechsel belustigt schmunzeln.

„Wahrscheinlich wird Martha mir den Rest ihres Lebens Vorwürfe machen, weil sie bei der Zeremonie nicht dabei sein konnte. Es gibt nichts, was sie mehr liebt als all diesen Firlefanz, der mit einer Heirat einhergeht. Vielleicht können die beiden noch eine zweite Feier in der Kirche machen, wenn es Gideon besser geht, damit Martha und die anderen Damen sich darüber freuen können.“

Adelaides Augen füllten sich mit Tränen, als sie die Hoffnung in den Worten des Pfarrers vernahm. Er redete über Gideons Heilung, als wäre sie eine sichere Sache. Nach all den düsteren Erwartungen – selbst von Gideons Seite her – war dieses Festhalten an der Hoffnung wie Balsam für ihre geschundene Seele. Sie blinzelte die Tränen zurück und räusperte sich. „Das würde mir sehr gefallen.“

Isabella, die bis dahin geduldig gewartet hatte, klammerte sich an Adelaides Arm und schwang ihn vor und zurück. Das Schwingen wurde zum Hüpfen, wodurch Adelaide um ihr Gleichgewicht kämpfen musste, um nicht umzufallen. Da sie das Kind nicht zurechtweisen wollte, sah sie zu dem Doktor hinüber. Er packte gerade seine Tasche. Er hatte das Morphium verabreicht.

Noch einmal wandte sie sich an ihre Gäste. „Mrs Garrett bereitet unten eine Erfrischung für Sie vor, Gentlemen. James, würden Sie Pfarrer Kent zum Speisezimmer begleiten?“

Die Männer nickten zustimmend. James trat allerdings noch einmal an sie heran.

„Gideon hat mich beauftragt, einen Brief an seine Familie aufzusetzen“, sagte er leise. „Ich halte ihn noch ein paar Tage zurück, falls Sie noch etwas Persönliches anfügen möchten.“

Seine Eltern. Die ganze Zeit über war sie so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, dass sie nicht einen Gedanken an sie verschwendet hatte. Wie sehr würden die Nachrichten von Gideons Verletzung ihnen Sorge bereiten! Adelaide war sicher, dass James ausführlich beschrieben hatte, wie es zu der Wunde und zu der schnellen Hochzeit gekommen war. Doch er könnte ihnen niemals die Liebe versichern, mit der Adelaide ihren Ehemann unterstützen würde. James würde auch nicht daran denken, davon zu schreiben, dass Isabella wieder sprach, und Gideons Eltern so einen Hoffnungsschimmer in ihrer Trauer geben.

„Ja. Danke, James. Ich würde Ihnen sehr gerne schreiben. Ich kümmere mich gleich morgen früh darum.“

Isabella sprang hoch und versuchte, sich an Adelaides Arm festzuhalten, rutschte aber ab, als Adelaide einen Schritt zur Seite trat. Das kleine Äffchen lenkte sie ab. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht ungehalten zu werden. Wenn Isabella nicht gleich aufhörte, würde sie … Adelaide atmete tief ein, um sich zu entspannen. Ihre Gefühle wurden seit Stunden überstrapaziert. Bald würde sie die Beherrschung verlieren.

„Jetzt, Miss Addie? Kann ich jetzt singen?“

Adelaide war froh, dass der Tag bald zu Ende ging. „Ja, Izzy. Das ist der perfekte Augenblick für dein Lied.“

Mit einem glücklichen Lächeln ließ sie Adelaides Arm los und hüpfte zu Gideons Bett.

„Papa Gidyon, Papa Gidyon! Bis du bereit für mein Lied?“

Adelaides Blick ruhte auf Gideons Gesicht. Zuerst hoben sich seine Brauen, dann seine Lider. Seine dunklen Augen schienen vernebelt zu sein. Ob durch den Schmerz oder das Morphium, wusste sie nicht.

„Ich bin bereit, meine Bella“, murmelte er. Er versuchte zu lächeln, konnte anscheinend jedoch nur einen Mundwinkel hochziehen. Isabella schien es nicht zu stören. Sie drehte sich, bis ihr Nachthemd um sie herumflog, dann hielt sie an und verbeugte sich tief. Nachdem sie noch einen Schritt näher an das Bett herangetreten war, atmete sie ein und fing an, mit klarer, hoher Stimme zu singen.

Schlaf, Kindlein, schlaf,
Der Vater hüt die Schaf,
Die Mutter schüttelt’s Bäumelein,
Da fällt herab ein Träumelein.
Schlaf, Kindlein, schlaf!

Schlaf, Kindlein, schlaf,
Am Himmel ziehn die Schaf,
Die Sternlein sind die Lämmerlein,
Der Mond, der ist das Schäferlein,
Schlaf, Kindlein, schlaf!

Die Melodie des bekannten Kinderliedes berührte Adelaides Herz, während sie den Mann anschaute, den sie liebte. Sie selbst sang nicht mit, sondern betete dafür, dass Gott ihr ihren Ehemann nicht nehmen würde.

Isabella sang weiter mit einer Strophe, die Adelaide noch nicht kannte. Während sie sang, hob Gideon den Kopf gerade so hoch, dass er Adelaide in die Augen schauen konnte.


Schlaf, Kindlein, schlaf,
Christkindlein hat ein Schaf,
Ist selbst das liebe Gotteslamm,
Das um uns all zu Tode kam,
Schlaf, Kindlein, schlaf.

Jetzt konnte Adelaide die Tränen nicht mehr zurückhalten und wandte sich rasch weg. Während Isabella eine weitere Strophe zum Besten gab, nutzte Adelaide die Gelegenheit und trat zur Seite. Ein Taschentuch erschien verschwommen vor ihrem Gesicht, gehalten von Dr. Bellows’ ebenfalls verschwommener Hand.

„Danke.“ Adelaide trocknete sich die Augen mit dem sauberen Baumwollstoff. Als sie dem Doktor das Taschentuch zurückgab, lächelte sie tapfer.

„Würden Sie mit mir die weitere Behandlung besprechen, während das Kind singt?“, fragte er leise.

Adelaides Pflichtbewusstsein erwachte bei diesem Vorschlag und verdrängte alle aufgewühlten Gefühle. Sie warf noch einen Blick in Richtung Bett, aber weder Vater noch Tochter schienen sie im Moment zu vermissen.

„Ja, Doktor“, sagte sie und riss sich selbst mit einem letzten Seufzer aus ihrer Melancholie. „Erklären Sie mir, was ich zu tun habe.“

Er führte sie zur Tür und sprach so leise, dass kein anderer seine Worte hören konnte. „Geben Sie ihm mehrere Tage lang keine feste Nahrung und gerade so viel Wasser, dass er nicht austrocknet. Bei einer solchen Wunde kann man nicht viel machen, da sie innerlich ist, deshalb habe ich sie nur mit einem Druckverband belegt und den äußeren Verband erneuert. Sie müssen den Verband zweimal am Tag wechseln. Ich lasse Ihnen Laudanum gegen die Schmerzen hier und gebe ihm morgen früh, bevor ich fahre, noch eine Morphiuminjektion.“

Adelaide nickte und notierte sich im Kopf die wichtigsten Stichpunkte.

„Haben Sie noch Fragen?“, fragte der Arzt, während er seine Tasche von der Kommode hob.

Sie konnte nur an eine einzige denken. „Ab wann werden wir wissen, ob er überlebt?“

Er rieb sich den Nacken und seufzte schwer. „Das ist schwer zu sagen, Ma’am. Ich habe nie erlebt, dass ein Mann in seinem Zustand sich erholt hat. Aber ich habe Berichte gelesen, dass Soldaten während des Krieges ähnliche Wunden überlebt haben. Es kommt darauf an, wie viel Schaden die Kugel anrichtet, wenn sie sich ihren Weg durch den Bauch sucht. Wenn keine wichtigen Organe verletzt werden oder innere Blutungen entstehen, hat der Patient eine geringe Möglichkeit, es zu schaffen. Es ist nicht wahrscheinlich, aber möglich. Solange keine Infektion ausbricht.“

„Also wie lange, bis wir es wissen?“, wiederholte sie ihre Frage, da sie etwas brauchte, an dem sie sich festhalten konnte.

Dr. Bellows zwirbelte seinen Bart. „Ich weiß es nicht mit Sicherheit, Mrs Westcott. Aber wenn Ihr Ehemann die nächsten zwei, drei Tage überlebt, bessern sich seine Aussichten um ein Vielfaches.“

Adelaide klammerte sich an die Zahl, die der Arzt genannt hatte. Drei Tage. Sie musste es einfach schaffen, ihn drei Tage lang am Leben zu halten.

Sie streckte die Schultern und nickte knapp. „Danke, Doktor.“

Er nahm seinen Hut und verschwand im Flur. Vielleicht hätte sie ihn der Höflichkeit halber nach unten begleiten sollen, doch sie wollte Gideon nicht allein lassen. Dr. Bellows war ein kluger Mann. Sicher würde er den Weg zum Esszimmer selbständig finden. Seine Nase würde ihn leiten.

Plötzlich bemerkte sie die Stille im Raum. Isabella hatte ihr Lied beendet. Adelaide wandte sich um, um den kleinen Engel im Nachthemd vor Gideons Bett knien zu sehen. Die Matratze war zu hoch, als dass Isabella ihre Ellbogen darauf hätte abstützen können, also ließ sie die gefalteten Hände vor dem Körper baumeln.

„Lieber Gott, du hast Papa Gidyon ein bisschen gesünder gemacht, aber seine Schmerzen sind immer noch da. Hast du vergessen, sie wegzunehmen? Ich erinnere dich einfach immer wieder daran, bis sie ganz weg sind.“

Adelaide lächelte und beugte ihren eigenen Kopf, während sie weiter zuhörte.

„Und danke, dass du mir eine neue Mama gegeben hast. Wenn ich meine alte Mama nicht zurückhaben kann, ist Miss Addie die beste. Amen.“

Zufriedenheit durchströmte Adelaides Herz wie warmes Öl und füllte sie mit Zuversicht. Sie ging zu ihrer Tochter und half ihr beim Aufstehen.

„Papa Gidyon ist bei meinem Lied eingeschlafen“, flüsterte Isabella, als sie wieder stand, „aber es hat ihm gut gefallen, glaube ich.“

Adelaide hob das Mädchen in ihre Arme. „Da bin ich sicher, Liebling. Es war wunderbar.“

Isabellas Mund verzog sich zu einem langen Gähnen, mit dem sie Adelaide ansteckte. Höchste Zeit fürs Bett.

Nachdem Adelaide sie ins Bett gebracht und ihr einen Gutenachtkuss gegeben hatte, verließ sie das Zimmer der Kleinen und stand dann unsicher im Flur. Ein absurdes Gefühl der Nervosität stieg in ihr auf. Weshalb war sie nervös? Ja, es war ihre Hochzeitsnacht, aber Gideon war sicher nicht in der Lage, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen. Doch durch diese Tatsache ließ sich Adelaides Magen auch nicht beruhigen.

Endlich gab sie sich einen Ruck und ging zurück zu Gideons Zimmer. An der Tür blieb sie stehen und warf einen Blick hinein. Ohne die vielen Besucher darin wirkte der Raum sehr groß und auch ein wenig einschüchternd. Doch jetzt war sie Gideons Frau – und sie wusste nicht, wie viel Zeit ihr mit ihm blieb, deshalb wollte sie jede Minute nutzen.

Adelaide durchquerte den Raum und blieb am Bett stehen. Sie hatte nicht daran gedacht, sich ein Nachthemd mitzunehmen. Wie dumm. Und was jetzt? Sie konnte in ihren Kleidern schlafen, aber das würde furchtbar unbequem werden. Nach einem Tag wie diesem wollte sie sich auf keinen Fall den erholsamen und verdienten Schlaf rauben lassen.

Sie sah sich um, bis ihr Blick an Gideons Kleiderschrank hängen blieb. Jede Braut sollte in ihrer Hochzeitsnacht eingehüllt in den Armen ihres Mannes schlafen. Gideon mochte nicht in der Lage sein, sie in die Arme zu nehmen, aber sie konnte sich trotzdem in seine Gegenwart einhüllen. Sie lächelte glücklich. Langsam öffnete sie eine Schranktür nach der anderen, bis sie fand, was sie gesucht hatte. Sie warf einen Blick nach hinten, um sicherzugehen, dass Gideon wirklich schlief, und huschte dann in eine Ecke. Im Zimmer gab es keine spanische Wand, hinter der sie sich ausziehen konnte, also stellte sie sich einfach mit dem Rücken zum Raum und zog schnell die Kleider aus. Schnell zog sie sich das Flanellhemd über, das sie ausgewählt hatte. Obwohl der Saum ihr bis über die Knie reichte, verbot es ihr Anstand, ihre lange Unterhose auszuziehen. Der gleiche Anstand befahl ihr auch, das Hemd bis zum Hals zu schließen – oder zumindest bis zum Schlüsselbein, da es so formlos an ihr hing wie eine Tischdecke.

Doch es war Gideons Hemd. Sie stellte sich seine Arme vor, die sie festhielten, während sie den Stoff an die Nase hob. Der Duft nach Seife und Sonnenschein war angenehm, doch sie wünschte sich, es würde nach Gideon riechen. Sie krempelte die Ärmel bis zu den Handgelenken hoch, ließ ihr Kleid auf dem Boden liegen und kletterte ins Bett.

Vorsichtig, um die Matratze nicht zu sehr zu bewegen, krabbelte sie neben ihn. Ah. Da war der Duft, den sie sich eben noch gewünscht hatte – in der Bettwäsche und an ihrem Mann selbst. Adelaide schloss ihre Augen und atmete tief ein. Nach einer Weile öffnete sie die Augen wieder und drehte sich auf die Seite, um ihrem Ehemann beim Schlafen zuzuschauen. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Sein Atem war gut hörbar – kein Schnarchen, aber laut genug, dass sie sich keine Sorgen machen musste. Es war beruhigend, friedlich.

Plötzlich war es mit der Ruhe vorbei, als er im Schlaf stöhnte und die Arme von sich warf. Mit klopfendem Herzen beugte Adelaide sich über ihn und hielt seine Handgelenke.

„Schhh, Gideon. Alles ist gut. Beruhige dich.“ Sie redete weiter leise auf ihn ein, bis er sich schließlich wieder entspannte. Auch nachdem er wieder ruhig geworden war, redete sie weiter und streichelte sein Haar.

Äußerlich war der Friede zurückgekehrt, doch im Inneren fingen Adelaides Ängste wieder an zu rumoren.

„Ich erwarte, dass du kämpfst, Gideon Westcott“, flüsterte sie. „Nur weil ich zugestimmt habe, dich zu heiraten, heißt das nicht, dass der Kampf vorbei ist. Ich bin deine Ehefrau geworden und nicht deine Witwe und ich verlange ein glückliches Ende bei dieser Sache. Es ist deine Pflicht, mein Ehemann.“

Wieder stöhnte er und sie sah, wie seine Lider flatterten. Adelaide legte sich hin, rollte sich an seiner Seite zusammen und seufzte ebenfalls. Dem Mann auch noch den Schlaf zu rauben, würde keinesfalls zu einer schnellen Heilung beitragen. Sie wünschte sich so sehr ein Leben mit ihm. So sehr, dass es schmerzte.

Erbitte ich zu viel, Herr?

Sie schlief ein, während sie auf eine Antwort wartete.

Sturz ins Glück
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